Easy to learn - hard to master
Kaum ein Thema ist für den Verstand so einfach und gleichzeitig so schwer zu beschreiben wie die Meditation. Obwohl sie ganz einfach umsetzbar ist, kann sie so vielfältig sein, dass eine möglichst simple Erklärung nicht immer leicht fällt.
Dennoch möchte ich dir einen pragmatischen Ansatz bieten, den du sofort in die Praxis umsetzen kannst. Ich werde dir eine Grundformel für die Meditation vorstellen, die sowohl für Anfänger als auch für Fortgeschrittene zur Vertiefung geeignet ist.
Aufmerksamkeit
Ein Zen-Schüler fragte seinen Meister: „Was ist das Wichtigste im Zen?“ „Aufmerksamkeit“, erwiderte der Meister. „Ach, vielen Dank“, sagte der Schüler. „Aber kannst du mir das Zweitwichtigste verraten?“ Und der Meister antwortete: „Aufmerksamkeit“.
Die Aufmerksamkeit ist ein Schlüssel zur Meditation. Sie ist während der Übung nicht morgen oder gestern, nicht nachher oder vorhin, sondern jetzt genau in diesem Moment.
Und das kann manchmal etwas Druck aufbauen, genau wie das Wort Aufmerksamkeit an sich.
Ich will dir diesen Druck erstmal nehmen, denn bei genauer Betrachtung benötigen wir ihn nicht.
Aufmerksamkeit = Druck?
Lass uns zunächst Mal den Begriff Aufmerksamkeit etwas genauer betrachten. Was bedeutet es denn aufmerksam zu sein, bzw. auch fokussiert?
Wir kennen diese Begriffe aus der Schule. Aufmerksamkeit, Konzentration oder Fokus verbinden wir, nicht zuletzt durch unsere schulische Prägung, mit Anstrengung.
Es gibt jedoch keinen Grund sich in der Meditation anzustrengen. Sie soll sich auch nicht anstrengend anfühlen, so als müsstest du dich auf eine Aufgabe konzentrieren oder die Aufmerksamkeit in ein Schulbuch lenken.
Erfahrung und Wahrnehmung
Wenn wir in der Meditation von Aufmerksamkeit sprechen, meinen wir eher die Erfahrung bzw. die Wahrnehmung. Die Vorstellung etwas einfach nur zu erfahren oder wahrzunehmen, ist weniger mit Anstrengung besetzt. Daher denke beim Begriff Aufmerksamkeit eher die Idee einer anstrengungslosen Erfahrung oder Wahrnehmung mit.
Das Hier und Jetzt
Neben der Aufmerksamkeit ist der gegenwärtige Moment ein weiterer Schlüssel zur Meditation. In der Regel verbinden wir beide, in dem wir die Aufmerksamkeit ins "Hier und Jetzt" lenken.
Aber was genau gibt es denn im Hier und Jetzt zu erfahren und wo genau verweilt denn die Aufmerksamkeit bei der Übung?
Das ist erstmal bei jedem Menschen anders. Wenn du magst, dann stoppe die Lektüre doch mal für 60 Sekunden, schließe kurz die Augen. Schau mal, wohin deine Aufmerksamkeit im Moment wandert und wo du sie wahrnehmen kannst.
Was geschieht im gegenwärtigen Moment?
Was hast du in dieser Minute wahrgenommen bzw. erfahren? Vielleicht Gedanken oder Fragen zu diesem Blogartikel, vielleicht Geräusche in deiner Umgebung, vielleicht eine körperliche Erfahrung, vielleicht ein Gefühl.
Das weiß ich nicht, weil nur du dich selbst wahrnehmen kannst.
Und leztendlich geht es darum in der Meditation. Wir nehmen erstmal das wahr, was in diesem Moment eben gerade wahrnehmbar ist.
Was wir mit der Erfahrung im Hier und Jetzt machen
Du kennst jetzt bereits zwei wesentliche Elemente der Meditation. Die Aufmerksamkeit und den gegenwärtigen Moment. Doch was genau machen wir eigentlich mit dieser Erfahrung?
Die Antwort ist genauso simpel, wie schwer umzusetzen:
nichts und am besten fügen wir dem nichts hinzu.
In MBSR- oder Meditationskursen, Achtsamkeitsprogrammen oder auch Yogaangeboten wird der Umgang oft beschrieben mit "nicht bewerten".
Wir schauen uns später noch genauer an, wie wir das in der Übung anwenden können. Doch lass uns zunächst noch etwas genauer strukturieren, was du im jeweiligen Moment eigentlich wahrnehmen kannst.
Das Meditationsobjekt
Um etwas mehr Struktur reinzubringen, nimmt man gerne ein so genanntes Meditationsobjekt. Das ist ein Punkt oder ein Ort, wo deine Aufmerksamkeit verweilt.
Klassischerweise ist dies der Atem. Es könnte aber auch der Körper sein oder Geräusche. Daher kommen vermutlich auch die Begrifflichkeiten Fokus und Aufmerksamkeit. Denn man legt den Fokus beispielsweise auf die Atmung.
Wenden wir die drei wesentlichen Elemente auf die Atemmeditation an, sähe die Meditation so aus wie im Schaubild.
Meditation hieße nach dieser Vorstellung, wir sind mit der Aufmerksamkeit in diesem Moment bei der Atmung, ohne zu werten.
Mit Hilfe dieser Vorgehensweise kannst du Meditation auch starten und sie wird sich mit der Zeit als auch wirksam erweisen.
Sie könnte jedoch eine Menge Druck aufbauen, weil sie sehr auf Fokus und Konzentration ausgelegt ist. Dazu gleich mehr.
Als nächsten Schritt schauen wir uns noch an, wo und wie man eigentlich die Atmung wahrnehmen kann.
Wo ist dein Atem?
Es gibt grundsätzlich viele Möglichkeiten, wo du den Atem wahrnehmen kannst, doch zu Beginn schlage ich dir drei einfach umsetzbare Varianten vor:
An der Bauchdecke: Und zwar genau genommen nimmst du die Bewegung der Bauchdecke wahr. Das Auf und ab der Bauchdecke beim Ein- und ausatmen. Probiere es ruhig wieder beim Lesen aus.
Der Brustkorb: Dort nimmst du das Außeinander und wieder Zusammenziehen des Brustkorbes wahr.
Die Nase: Der dritte Ort wäre die Nase. Hier nimmst du den Luftzug in der Nase wahr. Wenn du noch nichts wahrnehmen kannst, atme einmal tief ein und wieder aus, dann wird der Punkt klar.
Nimm dir ruhig etwas Zeit,um herauszufinden, wo du den Atem am besten wahrnehmen kannst. Wie du bereits weißt ist es nicht so wichtig, welches Meditationsobjekt wir wahrnehmen.
Andere Meditationsobjekte
Es gibt eine ganze Menge anderer Meditationsobjekte. Beim Body Scan, einer gängigen Meditationsübung, nehmen wir beispielsweise im Vordergrund den Körper wahr.
Während einer Meditation mit allen Aspekten oder Erfahrungswelten können wir die Aufmerksamkeit darüber hinaus auf die Gedanken, Gefühle, Geräusche, die Umgebung oder auf ein offenes Bewusstsein richten.
Ein offenes Bewusstsein ist eine ganz weite Wahrnehmung für alle Erfahrungen. Für unsere Zwecke, um Meditation zu erklären und eine praktische Anleitung zu geben, bleiben wir bei der Atmung.
Eine wichtige Ergänzung
Die drei wesentlichen Elemente der Meditation sind die Aufmerksamkeit, das Hier und Jetzt und der Atem (bzw. das Meditationsobjekt).
Wenn wir diese drei Konzepte vereinen, nehmen wir nur noch den Atem wahr und sind im Moment.
Wir nehmen uns fast als eine atmende Präsenz wahr, als die Atemerfahrung an sich.
Doch wenn du Meditation bereits ein bisschen kennst, wird dir gleich auffallen, dass dies in der Übung gar nicht so oft der Fall ist. In vielen Momenten sind wir nämlich nicht bei der Atmung, sondern abgelenkt, zum Beispiel mitten in einem aktiven Gedankenkarussell, beispielsweise bei der To-Do Liste.
Was geschieht bei Ablenkung?
Das ist eine sehr berechtigte Frage, denn was man häufig beobachten kann, wenn Menschen mit der Meditation beginnen, ist, dass sie Zweifel bekommen, wenn sie es nicht schaffen, den Fokus im Moment bei der Atmung zu halten und der Geist abgelenkt ist.
Dabei tauchen unter anderem Glaubenssätze auf wie:
Ich kann gar nicht meditieren.
Heute hat die Meditation wieder überhaupt nicht geklappt.
Ich bin einfach zu doof zum Meditieren.
Meditation ist nichts für mich.
Mein Geist beruhigt sich nie.
Die anderen können das bestimmt viel besser als ich.
Diesen Anspruch oder diese Erwartungshaltung brauchen wir jedoch nicht. Denn wie bereits erwähnt, darf Meditation völlig mühelos und anstrengungslos sein.
Es wäre ratsam der Meditationsübung ein viertes wesentliches Element hinzuzufügen:
Die Ablenkung.
Wir sind ständig abgelenkt
Während du den Atem im Hier und jetzt wahrnimmst, beginnt dein Geist regelmäßig zu wandern.
Er springt in die Zukunft und denkt darüber nach, was noch alles zu erledigen ist. Er springt in die Vergangenheit und durchlebt erneut eine Situation, die dich beschäftigt.
Manchmal springt der Geist auch zu einem unangenehmen Geräusch oder einem verspannten Körperteil.
Es ist wie eine Wundertüte: Wir wissen, dass sie da ist, aber wir wissen nicht, was sich darin befindet.
Während der Übung beginnt der Geist also zu wandern, weg vom Atem im Hier und Jetzt und hin zu vielfältigen Ablenkungen.
Diese Ablenkungen könnten auch Langeweile, Unlust, Müdigkeit, Hunger, Zweifel, Unruhe und vieles mehr sein.
Um Meditation als Ganzes zu begreifen und den Druck herauszunehmen, kann es sinnvoll sein, die Ablenkung als Teil des gesamten Prozesses zu verstehen.
Wir benötigen sogar Ablenkung. Ohne sie könnten wir nicht üben. Wie sollten wir sonst die Wahrnehmung wieder zurück zur Atmung bringen?
Du kannst dich eigentlich über jede Ablenkung freuen. Denn sie erlaubt es uns, den "Muskel" im Geist zu trainieren.
Wie ist das gemeint?
Jedes Mal, wenn du bemerkst, dass du abgelenkt bist, kannst du eine bewusste Entscheidung treffen: die Ablenkung unterbrechen und die Wahrnehmung wieder zur Atmung und in den gegenwärtigen Moment zurückbringen.
Das ist das eigentliche Training. Es ist wie die Grundformel der Meditation. Jedes Mal, wenn du die Ablenkung bemerkst und dich ins Hier und Jetzt zurückbringst, trainierst du diesen geistigen Muskel.
Denn was tatsächlich passiert, ist, dass du neuronale Aktivität in deinem Gehirn unterbrichst, die für das Tun, Handeln und für Stress zuständig ist, z.B. ein aktives Gedankenkarussell oder starke Gefühle wie Angst, und diese neuronale Aktivität beruhigst.
Dabei förderst du gleichzeitig die neuronalen Netzwerke, die für Ruhe, Entspannung und Erholung zuständig sind, und baust diese aus.
Früher oder später kann sich dein ganzes System, also die Kombination aus Körper und Geist, automatisch an diesen Mechanismus erinnern.
Dein Autopilot war vorher auf das aktive Gedankenkarussell eingestellt. Im Autopiloten musst du nicht nachdenken, ob du das Gedankenkarussell anschmeißen sollst oder nicht.
Es springt einfach an, aber das geschieht durch jahrelanges Training. Genauso können wir das Entspannen und zur Ruhe kommen automatisieren.
Das erfordert einiges an Training. Die Geschwindigkeit, in der das alles geschieht, beschreibe ich gerne so: Es tröpfelt mit der Zeit ein. Genau genommen ist es wichtig, es eintröpfeln zu lassen.
Ein Vergleich: Wenn du heute beginnst, im Fitnessstudio deinen Körper zu trainieren, und morgen in den Spiegel schaust, welche Veränderung kannst du sehen? Keine. Wenn du heute beginnst, durch Meditation deinen Geist zu trainieren, was wird sich morgen verändern? Nichts.
Aber wenn du einige Monate regelmäßig übst und dann zurückschaust, bemerkst du Fortschritte, sowohl beim körperlichen als auch beim geistigen Training. Vergleiche dich dabei nicht mit denjenigen, die seit Jahren üben.
Was ich dir eigentlich hier nehmen möchte, ist der Druck. Dies könnten wir als letztes Element in die Grundformel der Meditation einbauen.
Denn während der Übung gibt es nichts zu tun, es gibt nichts zu erreichen und du kannst nichts richtig oder falsch machen.
Meditation sollte keine Mühe sein, keine Bürde, kein zusätzlicher Termin. Du darfst alles und musst nichts.
Auch innerhalb der Meditation ist alles möglich. Du musst nichts, du darfst alles. Meine Anleitungen sind nur eine Orientierung und nicht der einzige Weg, um Meditieren zu lernen.
Es kann helfen, den eigenen Geist in eine wohlwollende, fürsorgliche Haltung einzubetten. In der Meditation hast du vielleicht schon einmal den Begriff Metta gehört. Dabei geht es um liebende Güte oder freundliche Liebe.
In der Meditation könnte man von Selbst-Mitgefühl sprechen oder Metta für dich selbst.
Da auch dies manchmal Widerstände hervorrufen kann, ist es wichtig, auch auftretende Widerstände freundlich zu beobachten.
Um dies zu erreichen, benötigt es eine gewisse Zeit an Übung. Wie viel Übung im Voraus notwendig ist, kann nicht genau gesagt werden und es verhält sich von Person zu Person unterschiedlich.
Doch für den Anfang würde ich raten, zu versuchen, mit der jeweiligen Erfahrung einfach zu sein und nichts mit ihr zu tun. Beobachte, welche Erfahrungen überhaupt auftauchen, ohne den Anspruch zu haben, sie ändern zu wollen.
Im Anschluss kannst du tröpfchenweise etwas Selbst-Mitgefühl (Metta) in die Erfahrung einfließen lassen. Da es keinen festen Ansatz gibt, ist dies auch eine Einladung zum Experimentieren und Herausfinden, wie du auf den Versuch des Selbst-Mitgefühls reagierst.
Letztendlich geht es darum, das, was du erfahren kannst, sein lassen zu können, egal ob die Erfahrung angenehm, neutral oder unangenehm erscheint. Welcher Weg dazu führt, ist nicht so wichtig. Doch man könnte sagen:
Wenn du eine Erfahrung nicht anders haben willst, lässt sie dich in Ruhe
Meditation zusammengefasst
Wir nehmen den Atem wahr (oder ein anderes Meditationsobjekt).
Wir sind dabei mit der Wahrnehmung (Aufmerksamkeit) im Hier und Jetzt.
Wir nehmen diese Erfahrung so wahr, wie sie ist, und machen damit nichts.
Wenn der Geist beginnt zu wandern und wir diese Ablenkung bemerken, bringen wir die Aufmerksamkeit entspannt wieder zurück. Das ist die eigentliche Übung.
Es gibt nichts zu tun. Du darfst genauso sein, wie du in diesem Moment bist. Lass jeglichen Widerstand los, denn es gibt nichts zu tun und nichts zu erreichen.
Das Schaubild oben wird im Schaubild unten durch die Ablenkung und die wohlwollende Haltung ergänzt.
Um zum Schluss die Frage zu beantworten, was Meditation eigentlich ist, gibt es nicht DIE Anwort.
Man könnte sagen Meditation ist:
Eine mentale Fähigkeit, Geist und Körper zu beruhigen. Statt automatisch auf einen Impuls zu reagieren, schaffen wir die Möglichkeit, frei zu wählen, wie wir auf den Impuls reagieren.
Wir können zum Beispiel einen schmerzhaften Impuls nicht verhindern, aber die Reaktion darauf frei wählen. Oder mit anderen Worten:
Wir können die Wellen des Lebens nicht verhindern, aber wir können lernen, auf ihnen zu surfen.
Ich kann dir jedoch versichern, dass das Lesen dieser Worte allein nicht ausreicht, um es wirklich zu verstehen.
Die einzige Möglichkeit, Meditation zu verstehen, ist sie zu erfahren.
Ich würde dir auch nicht beschreiben, wie ein Stück Schokoladentorte schmeckt.
Wenn der Artikel für dich hilfreich wahr und du Meditation ausprobieren möchtest, trage dich gerne hier ein und du erhältst als Antwort eine Einführung in die Meditation zugesendet.
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